Der Geschmack des fünften Kontinents
Vegemite sieht aus wie kettenschmiere und schmeckt auch so. Australier lieben den Aufstrick – und das seit hundert Jahren
Das Zeug ist dunkelbraun, har die Konsistenz erwärmter Kettenschmiere und schmeckt auch so, wie man sich letzteres auf der Zunge vorstellt. Nicht wirklich wie ein Nahrungsmittel, sondern wie etwas, was bei der Herstellung von Flugzeugtreibstoff in der Raffinerie übrig blieb.
Australier freilich können ohne den Stoff nicht leben. “Vegemite” heißt die Paste, die nur goutieren kann, wer sie schon im Säuglingsalter zugeführt und seither zu jedem Frühstück aufs Toastbrot geschmiert bekam – ganz dünn freilich nur, das ist wichtig.
Alle anderen sehen in der dunkelbraunen Paste mit dem salzig-bitteren Geschmack lediglich einen Brotaufstrich aus >Hefeextrakt. Doch für Australier ist Vegemite viel mehr: eine kulturelle Ikone ihres Landes, für das Bild des fünften Kontinents so prägend wie Kängurus, Crocodile Dundee und die Hafenbrücke von Sydney. vegemite schätzen zu können ist ein uveränderliches Kennzeichen, an dem Australier ihresgleichen erkennen. “Sprichst du meine Sprache?”, singt die Band Man at work in Australiens inoffizieller Nationalhymne “Down under”: “Er lächelte nur und gab mir ein Vegemite – Sandwich..”
“Proudly made in Austalia since 1923”, so steht es auf den quitschgelben Etiketten der Vegemite-Gläser, von denen seither mehr als eine Milliarde verkauft wurden- dr geschmacklichen Eigenheiten geschuldet hauptsächlich dort, wo Australier leben. doch die Geschichte dieses uraustralischen Kulturprodukts begann schon ein Jahr vorher: Vor nunmehr hundert Jahren setzte sich ein junger Chemiker namens Cyril Percy Callister in Port Melbourne daran, aus den in der örtlichen Bierbrauerei Carlton anfallenden hefersten einen würzigen Extrakt zu gewinnen. Sein Arbeitgeber Fred Walker wollte damit and den Erfolg der Paste “Marmite” aus dem Mutterland anknüpfen, mit der sich die als Poms verspotteten Engländer bis heute quälen – und die ein Australier, der auf sich hält, schon dieser Herkunft wegen nie anrühren würde.
Der australische Ärzteverband erklärte die paste für besodners gesund – trotz des Salzgehalts
In Australien war das neue produkt, zunächst mit der simplen Bezeichnung “Reiner Gemüseextrakt” auf dem markt, ein Flop. Daran änderte auch ein Namensgebungswettbewerb im folgenden Jahr nichts, aus dessen Zusendungen Walkers Tochter den Namen “vegemite” zum Sieger kürte. Erst in den dreißiger Jahren brachte eine meisterhafte Marketing-Strategie die Australier dazu, das eigentlich ungenißebare Produkt auf ihr Weißbrot zu schmieren: Walker, der sich mit dem US-amerikanischen Konzern Krafft zusammengetan hatte, um dessen Schmelzkäse zu vermarkten, gab zu jeder Packung Käse eine Probe Vegemite hinzu.
Die angesichts des Salzgehalts zweifelhafte Entscheidung des auastralischen Ärzteverbands, die Hefepaste wegen irhes hohen Gehalts an Vitamin B für besonders gesund zu erklären, tat ein Übriges, um den Absatz explodieren zu lassen. Im Zweiten Weltkrieg hatte jeder Digger der australischen Armee zur Stärkung Vegemite im Tornister, daheim musste die Abgabe rationiert werden. Auch danach wurde die Paste mit aufwändiger Werbung an Frau, Mann und vor allem Kind gebracht. Ein Werbespot-Lied aus den fpnfziger Jahren hat sich so tief in die kollektive Psyche der Australier eingebrannt, dass es sogar ihren Wortschatz prägte: Weer zufrtieden ist mit sich und der Welt, ist seither ein “Happy little Vegemite”. Und weil das so ist, erweisen die Australier nun dem Erfinder Cyril Callister die Ehre: Pünktlich zum Hundertsten hat in einer aufgelassenen Tankstelle in dessen Geburtsort Beaufort ein Vegemite-Museum aufgemacht. Der Eintritt ist frei, die Bäckerei neben an serviert, jawohl: Vegemite-Kuchen.
Der Artikel aus Süddeutsche Zeitung: Jan Bielicki